Der Prototyp eines Anführers
Marlo Burdorf hat den FC Hagen/Uthlede geprägt, jetzt will er beim VSK ein neues Kapitel schreiben
Ein letzter Einsatz blieb ihm verwehrt. Ein letztes Mal an der Blumenstraße auflaufen, den Vereinssong hören, die Mannschaft noch einmal als Kapitän auf das Feld führen, auf dem er so viele Schlachten geschlagen hat. Das hätten Marlo Burdorf wohl alle von Herzen gewünscht. Doch es sollte nicht sein. Eine Verletzung hatte den 31-Jährigen in den letzten Saisonspielen außer Gefecht gesetzt. Die Verabschiedung des langjährigen Mannschaftsführers im Anschluss an die letzte Oberliga-Partie des FC Hagen/Uthlede beeinflusste das aber gar nicht. Es wurde trotzdem emotional, sehr emotional.
Exakt 13 Jahre lang ist Marlo Burdorf für die ersten Herren des FC Hagen/Uthlede aufgelaufen. Und nicht einfach nur aufgelaufen, Burdorf war viel mehr als ein gewöhnlicher Spieler. Er war die Galionsfigur der viel zitierten „goldenen Generation“ des Vereins. Burdorf erkämpfte sich gleich in seiner ersten Herrenspielzeit einen Stammplatz und arbeitete sich in den folgenden Jahren kontinuierlich zum Leistungsträger und Führungsspieler herauf. Ab der Saison 2016/2017 führte der zentrale Mittelfeldspieler die Mannschaft dann schließlich als Kapitän auf den Platz, prägte als Gesicht der Mannschaft, den Charakter des Teams maßgeblich.
„Marlo ist auch schon in seinen frühen Jahren ohne Kapitänsbinde sehr schnell zu den Besten gereift“, sagt Gunnar Schmidt. Der heutige Teammanager des künftigen Landesligisten trainierte Burdorf zwischen 2014 und 2016 zwei Jahre lang selbst. „Ein Vorbild in jederlei Hinsicht, der immer einen guten Umgang mit allen gepflegt hat. Er ist sicherlich DER Spieler schlechthin, wenn man auf die vergangenen zehn Jahre beim FC zurückblickt“, so Schmidt. Viel ist passiert in dieser Dekade. Als Burdorf 2009 als einer von insgesamt 13 talentierten A-Junioren den Sprung in die ersten Herren wagt, ist der FC Hagen/Uthlede gerade von der Kreis- in die Bezirksliga aufgestiegen. Die jungen Wilden um Marlo Burdorf, Kai Diesing, Axel France oder Tjark Seidenberg mischen nun die Bezirksliga auf. Nur drei Tore fehlen am Ende im Vergleich zum punktgleichen Meister Drochtersen/Assel II, um den direkten Durchmarsch in die Landesliga zu schaffen. Dieser gelingt ein Jahr später – mit 13 Punkten Vorsprung und einem Marlo Burdorf, der längst zum absoluten Stammpersonal gehört. Nach einem ersten missglückten Anlauf in der Landesliga und dem sofortigen Wiederaufstieg etablieren sich die Grün-Schwarzen ab der Saison 2013/2014 in der Landesliga Lüneburg.
„Dieser Verein ist für mich Familie und Herzblut.“ Marlo Burdorf
Der zentrale Mittelfeldmann gehört zu dieser Zeit längst zu den stärksten Spielern der Liga – und weckt natürlich viele Begehrlichkeiten. „Natürlich hätte Marlo auch jederzeit einen Platz in einem Regionalliga-Kader kriegen können“, sagt Gunnar Schmidt. Ernsthaft in Erwägung zog der Kapitän aber einen Vereinswechsel nie. „Dieser Verein ist für mich Familie und Herzblut“, sagt Marlo Burdorf. Als kleiner Knirps hatte er einst beim TSV Uthlede mit dem Fußball angefangen, seit der Gründung des FC Hagen/Uthlede war er dort dabei. 25 Jahre sind so zusammengekommen. Die letzten als Kapitän und Gesicht der ersten Herren. Unglaublich viele und unvergessliche Momente habe er erleben dürfen – positiver, aber auch negativer Art. Doch die intensive Zeit hat auch Spuren hinterlassen. 69 Oberliga-Einsätze hat Marlo Burdorf in den vergangenen vier Jahren angehäuft.
„Ich habe die letzten Jahre wirklich alles komplett dem Fußball untergeordnet“, berichtet der 31-Jährige. Bereits vor zwei Jahren habe er mit dem Gedanken gespielt, eine Pause einzulegen, sich dann wegen Corona aber ein weiteres Mal für seinen FC entschieden. Vor einem Jahr teilte Burdorf dem Verein dann mit, dass die Saison 2021/2022 endgültig seine letzte im grün-schwarzen Dress wird. „Er hat immer mit offenen Karten gespielt, so wie wir es von Marlo kannten“, berichtet der langjährige Weggefährte Tjark Seidenberg, der das Team zur neuen Saison als Chefcoach übernehmen wird.
„Es ist einfach an der Zeit, einen Cut zu machen, einen Gang zurückzuschalten“, sagt Burdorf selbst. Einige Zeit hatte er auch mit einer kompletten Fußballpause geliebäugelt, dann aber festgestellt, dass es nicht der Sport als solcher ist, der ihn mehr und mehr zermürbt hat. „Ich bin immer vorneweg marschiert, musste immer funktionieren und hatte diesen Anspruch natürlich auch an mich selbst“, gibt Burdorf unumwunden zu. Immer wieder sei es vorgekommen, dass er sich trotz Schmerzen zum Training geschleppt habe oder in Punktspielen nur auflaufen konnte, wenn er vorher eine Schmerztablette zu sich nahm. „Für mich war es immer selbstverständlich, dass ich mich zur Verfügung stelle, sofern es irgendwie möglich ist. Aber das macht dann irgendwann was mit deinem Kopf. Ich musste da einfach mal raus, um durchatmen zu können.“
Das will er jetzt in der Bezirksliga tun, genauer gesagt beim VSK Osterholz-Scharmbeck. Schon seit einigen Wochen war es in der Fußballszene ein offenes Geheimnis, dass sich VSK-Coach Thorsten Westphal und Marlo Burdorf mehrfach ausgetauscht und ein enges Verhältnis aufgebaut hatten. Beide wohnen nicht weit voneinander entfernt in Bremen, eher zufällig fand im dortigen Bürgerpark einst das erste Treffen statt – über eineinhalb Jahre ist das schon her.
Am vergangenen Sonnabend, nach dem letzten Saisonspiel der Kreisstädter, gab der zentrale Mittelfeldspieler nun seine Zusage für die kommende Spielzeit. „Ich habe große Lust auf diese junge und enorm talentierte Truppe, da ist eine tolle Energie in der Mannschaft. Vor allem wird es beim VSK aber auch kein Drama sein, wenn ich mal eine Trainingseinheit oder ein Punktspiel verpasse.“ Auf der anderen Seite schlägt aber natürlich immer noch das Herz eines nach Erfolg strebenden Vollblutfußballers in Burdorf: „Ich habe den Jungs schon gesagt, dass ich mit ihnen den maximalen Erfolg anstrebe, und der lautet Meisterschaft und Aufstieg.“
Was das dann für seinen weiteren Werdegang bedeuten könnte, daran will und kann der 31-Jährige im Moment noch keinen Gedanken verschwenden. Immerhin könnte es in der übernächsten Saison durchaus zu einem Duell VSK gegen Hagen/Uthlede kommen. „Ganz ehrlich, das ist momentan völlig egal. Vielleicht spiele ich weiterhin beim VSK, vielleicht gehe ich dann zurück nach Hagen. Vielleicht spiele ich aber auch nur noch Ü 32 oder zweite Herren beim FC.“ Irgendwann, so Burdorf, werde er ohnehin zurückkehren zu „seinen“ Grün-Schwarzen und irgendeine Rolle bei dem Verein übernehmen, dem er so viel zu verdanken hat. Dem er aber auch so unglaublich viel geben konnte.
Zur Sache
„Eine ganz andere Lautstärke“ – Westphals Vorfreude auf Burdorf
19,7 Jahre war das Durchschnittsalter, mit dem Fußball-Bezirksligist VSK Osterholz-Scharmbeck in das letzte Punktspiel gegen den Heeslinger SC II (3:2) gestartet ist. Das Team von Trainer Thorsten Westphal hat sich in den vergangenen Monaten mit seiner Art, Fußball zu spielen, viel Respekt und auch einige Anhänger erarbeitet. Mit Marlo Burdorf bekommen die ambitionierten Kreisstädter nun einen Spieler dazu, der von vielen als das fehlende Puzzleteil wahrgenommen wird. Denn wenn der blutjungen VSK-Truppe eines gefehlt hat, dann ein höherklassig erfahrener Akteur von diesem Format. „Fußballerisch ist bei uns vieles top, aber manchmal sind wir zu brav auf dem Feld. Und wenn du weiterkommen und höher spielen willst, dann brauchst du eben auch andere Attribute“, sagt Thorsten Westphal, der weiß, wie wichtig Erfahrung auf dem Platz ist: „Die ganzen jungen Kerle werden von Marlo enorm profitieren. Da kommt ein ganz anderer Typ, eine ganz andere Lautstärke auf den Platz, wo sich die Jungs eine Menge abschauen können.“
Dabei gehe es Westphal ausdrücklich nicht darum, dass der 31-Jährige 100 Prozent Trainingsbeteiligung hat. „Die Stimmung, auch in der Kabine, wird sich dadurch einfach verändern. Und das ist wichtig, wenn man sich weiterentwickeln will“, so Westphal, der bereits seit vielen Monaten den Kontakt zu Marlo Burdorf hält. „Wir hatten von Anfang an super Gespräche, haben uns vom ersten Tag an offen und ehrlich die Meinung gesagt“, berichtet der VSK-Coach, der es kaum erwarten kann, mit dem 31-Jährigen zu arbeiten: „Das wird einfach geil.“
Quelle: Weser-Kurier vom 02.06.2022 verfasst von Tobias Dohr