Flucht aufs Land
Viele Amateurfußballer aus Bremen suchen eine neue Herausforderung in der niedersächsischen Nachbarschaft
„Auf dem Land ist es anders“, sagt Tim Weinmann und schwärmt von der neuen Umgebung und Atmosphäre. Der 24-jährige Mittelstürmer gehört seit dem 1. Juli offiziell zum Kader des SV Komet Pennigbüttel. Und seinen Wechsel vom Bremer Landesligisten SV Lemwerder zum Osterholzer Bezirksligisten bezeichnet er auch unter sportlichen Gesichtspunkten als richtigen Schritt: Er habe diese Herausforderung gewollt, sagt Weinmann.
Der ehemalige Goalgetter des SV Lemwerder steht stellvertretend für eine Entwicklung im Bremer Amateurfußball, die man auch als Stadtflucht bezeichnen könnte. Ein besonders augenfälliges Beispiel lieferte in der Winterpause der ewige Titelkandidat Bremer SV. Nach internen Querelen verabschiedeten sich gleich sechs Spieler und schlossen sich dem Achimer Oberligisten TB Uphusen an. Die Entlassung von Trainer Sasa Pinter, der wenig später vom Osterholzer Landesligisten SV Blau-Weiß Bornreihe engagiert wurde, war allerdings nur der Türöffner für so manchen langjährigen BSV-Kicker. Mannschaftskapitän Ole Laabs zum Beispiel sprach gegenüber dieser Zeitung von Welten, die zwischen der Oberliga Niedersachsen und Bremen liegen. Und damit meinte er die Spielstärke.
Die Suche nach der eigenen Leistungsgrenze war auch für Dennis Jordan der Grund, dem Blumenthaler SV den Rücken zu kehren und sich dem Oberliga-Aufsteiger FC Hagen/Uthlede anzuschließen. Die Bremen-Liga, sagt der gelernte Innenverteidiger, sei für die Spitzenteams eine Komfortzone. In den niedersächsischen Landesligen sowie in der Oberliga müsse der Tabellenführer dagegen alles geben, um selbst den Träger der Roten Laterne auf Distanz zu halten.
Der Reiz größerer Kulissen
Von einem krassen Niveauunterschied spricht auch der ehemalige Blumenthaler Lars Janssen, der im Sommer 2017 zusammen mit seinem Mannschaftskameraden Erik Köhler den Burgwall in Richtung Hagen/Uthlede verließ. Sein Urteil: „Die Landesliga Niedersachsen ist stärker als die Oberliga Bremen.“ Doch nicht allein der sportliche Aspekt war für die einstigen Kicker des Blumenthaler SV ausschlaggebend für den Vereinswechsel. Die wesentlich höheren Zuschauerzahlen übten einen zusätzlichen Reiz aus, sagen die Ehemaligen vom Burgwall, zu denen auch Maurice Banehr gehört. Gerade erst hat ein weiterer Blumenthaler den Weg ins Umland genommen. Ali Dag läuft künftig für den Bezirksligisten VSK Osterholz-Scharmbeck auf.
Nicht nur aus der Komfortzone, wie Dennis Jordan es ausdrückt, sondern auch aus den engen Grenzen des Bremer Fußball-Verbandes wollte Vinzenz van Koll raus. Und deshalb hat es ihn nach nur einer Saison beim Blumenthaler SV zum Bezirksligisten SV Komet Pennigbüttel (Osterholz-Scharmbeck) gezogen. Freilich auch, weil die Freundin in der Kreisstadt wohnt. „Ob beim SV Grohn, bei der SAV oder zuletzt beim Blumenthaler SV, es war immer der gleiche Trott“, begründet der 27-Jährige seinen Neustart. Auf dem Dorf, wie van Koll seine neue Fußballheimat keinesfalls abfällig bezeichnet, sei die Atmosphäre komplett anders, familiärer und schon wegen der Zuschauerzahlen spannender.
Neue Herausforderungen
Dem kann Tim Weinmann nur zustimmen, der in Pennigbüttel wie zuvor in Lemwerder vor allem auf Torejagd gehen soll. Den 24-Jährigen hat es nach eigenen Worten zudem aufgrund der räumlichen Weite in den niedersächsischen Fußballverband gezogen. In Bremen kenne er mittlerweile fast jeden Verein und Sportplatz, deshalb freue er sich auf die Reisen durch das Land und die sportliche Herausforderung an jedem Wochenende, sagt Weinmann. Die Landesliga Lüneburg vergleicht er in puncto Spielstärke mit der Bremen-Liga. Da gebe es keinen Qualitätsunterschied.
Den allerdings dürfte demnächst Hendrik Schulz registrieren, der zuletzt beim Bremer Landesligisten TSV Lesum-Burgdamm im Tor stand, allerdings verletzungsbedingt lange pausieren musste. In der neuen Saison soll er für den Lüneburger Landesligisten TuSG Ritterhude auflaufen. Der 27-Jährige hat in den vergangenen neun Jahren für die SAV, den SV Türkspor und den TSV Lesum-Burgdamm zwischen den Pfosten gestanden und ist nach eigenem Bekunden gespannt, was ihn nun im niedersächsischen Fußball erwartet. „Auf alle Fälle wesentlich weitere Auswärtsfahrten und sicherlich auch ein anderes Niveau“, blickt der 1,90 Meter große Keeper voraus.
Über das Niveau in der Bremen-Liga hatte unlängst auch der Trainer des TB Uphusen, Fabrizio Muzzicato, laut nachgedacht, der einst den Blumenthaler SV und den Bremer SV coachte. Für die Topklubs, so Muzzicato, sei die höchste Bremer Spielklasse eine Wohlfühloase. Ein paar Vollgas-Spiele seien jedoch zu wenig, um sich ausreichend Spielstärke für die Regionalliga-Relegation zu erarbeiten. Muzzicato schlug seinerzeit vor, die Bremen-Liga auf acht Mannschaften zu verkleinern. Dann allerdings könnten in einer Saison nur alle zwei Wochen Oberliga-Partien stattfinden, oder aber es müssten zwei Hin- und zwei Rückrunden stattfinden.
Quelle: Weser-Kurier vom 13.07.2018 verfasst von Tobias Dohr