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Wie es hätte werden können…

Achtung Ironie: Die Sportredaktion skizziert den letzten Fußball-Spieltag der regulären Saison, der heute stattgefunden hätte

Was wäre gewesen, wenn…? Diese Frage treibt Tausende Amateurfußballer an diesem Wochenende wohl ganz besonders um. Denn an diesem Sonnabend wäre in den allermeisten Amateurligen Niedersachsens der letzte Spieltag ausgetragen worden. Tränen der Freude und der Trauer wären geflossen, ebenso wie der Meistersekt. Wie immer hätte der Sport ganz besondere Geschichten geschrieben, einige Legenden wären sicherlich ebenfalls entstanden. Wie das eben an einem letzten Spieltag so ist, wenn sich eine komplette Saison entscheidet. Die Sportredaktion hat ein paar dieser Geschichten aufgeschrieben – wie sie hätten passieren können. Oder anders gesagt: Wir skizzieren den letzten Fußball-Spieltag in Ober-, Landes- und Bezirksliga nach – wie wir ihn auch ganz gerne mal aufgeschrieben hätten. Nämlich mit einem Augenzwinkern.

SV Vorwärts Hülsen – SV Komet Pennigbüttel 4:1 (4:0): Die Pennigbütteler haben vor dem Spiel vom längsten Sprint ihres Trainers nach dessen Siegtreffer 1995 erfahren – und wollen diesen nun unbedingt toppen. Der Auftrag: Wer auch immer ein Tor erzielt, setzt zum ultimativen Sprint an. Jeder Spieler hat extra hierfür einen Kilometerzähler angelegt. Das Problem ist nur: Die Gäste bekommen kaum Tormöglichkeiten. Nur Vorwärts spielt vorwärts und führt schon zur Pause völlig verdient mit 4:0. Die Gäste kommen einfach nicht ins Spiel. Auch nicht nach dem Seitenwechsel. Zu fortgeschrittener Spielzeit bekommen die „Kometen“ eher unverhofft einen Eckball, ihren ersten der Partie, zugesprochen. Sie wittern ihre Chance. Alle elf Pennigbütteler versammeln sich im gegnerischen Strafraum. Und tatsächlich: Nach einer flipperartigen Einlage von knapp 30 Sekunden landet der Ball im Netz. Der Torschütze ist in dem Gewühl schwer auszumachen. Dem Anschein nach muss es aber Tim Weinmann gewesen sein, der zunächst nur eine Extra-Runde um das gegnerische Vereinsheim zu drehen scheint, dann aber auf die Landstraße einbiegt. Auf dem Rückweg sammelt ihn der Mannschaftsbus fünf Kilometer vor Pennigbüttel wieder ein. Bei der Auswertung macht sich jedoch schnell Ernüchterung breit. Weinmann hatte vergessen, bei seinem Kilometerzähler auf Start zu drücken.

SV Ippensen – VSK Osterholz-Scharmbeck 15:0 (0:0): Das hat der VSK selbst zu Oberliga-Zeiten nicht erlebt. Über 5000 Fans aus Osterholz-Scharmbeck sind zu diesem Auswärtsspiel gekommen, ein einziges Meer in grün und weiß umgibt den Ippenser Sportplatz. Über den Grund kann anfangs nur spekuliert werden, schließlich stehen die VSK-Fußballer bereits seit letzter Woche als Absteiger fest. Das Geheimnis wird zum Anpfiff gelüftet, als die VSK-Ultras ein riesengroßes Banner ausbreiten, auf dem steht: „Ein letztes Mal Bezirksliga. Wir waren dabei.“ Das Spiel nimmt denselben Verlauf wie unzählige Male zuvor: Der VSK spielt richtig gut mit, ist nach der Pause in den entscheidenden Situationen aber zu naiv. „Die Leute werden wieder sagen: Der Schilling hat einen an der Waffel – und wahrscheinlich haben sie auch recht. Aber trotzdem hätten wir gewinnen müssen“, sagt VSK-Coach Oliver Schilling hinterher. Nach Ippensens Fünferpack in nur zwei Minuten zum zwischenzeitlichen 0:5, 0:6, 0:7, 0:8 und 0:9 beginnt die erste Abwanderungswelle der VSK-Fans. Bis zum Schlusspfiff halten es nur noch die Hartgesottenen aus, die sich mit Betreuer-Legende Wolfgang Stöhr weinend in den Armen liegen. „Wir steigen wieder auf, wir steigen wieder auf“, verspricht „Wolle“, die gute Seele des Vereins, mit tränenerstickter Stimme und schnäuzt noch einmal kräftig in sein Taschentuch.

MTV Riede – TuSG Ritterhude 0:8 (0:1): Das Spiel nimmt seinen zu erwartenden Verlauf. Die Ritterhuder haben gegen den designierten Absteiger alles unter Kontrolle, wenngleich sich ihnen nicht wirklich viele Chancen bieten. Tobias Böttcher und Marcel Meyer, deren Wechsel zum Landesligisten TuS Harsefel für Furore gesorgt hatte, ärgern sich derweil über die spärliche Zuschauerkulisse. So macht der Plan, den die beiden TuSG-Kicker für ihr letztes Spiel ausgeheckt haben, keinen Sinn. Als während der zweiten Halbzeit aber immer mehr VSK-Anhänger, die auf dem Nachhauseweg aus Ippensen noch einmal in Riede vorbeischauen, auf die Anlage kommen, sehen Böttcher und Meyer ihre Chance gekommen. Auf einmal initiieren die beiden einen Angriff nach dem anderen und suchen dabei unverhältnismäßig oft Jan-Luca Grove als finalen Abnehmer. Besonders auffällig ist dies, als Tobias Böttcher, von allen bekannterweise nur „Michel“ genannt, von der gegnerischen Torlinie aus einen Rückpass zu Jan-Luca Grove spielt. Spätestens dieses 8:0, es ist Groves sechstes Tor in Folge, macht die Zuschauer stutzig. „Macht der „J-Lo“ auch sein letztes Spiel?“, fragen sie sich. Und einer behauptet sogar: „Der geht bestimmt auch zum TuS Harsefeld. Skandal!“ Kurz darauf soll Tobias Böttcher ausgewechselt werden. Der schickt aber Jan-Luca Grove vor und und gibt ihm noch ein „Lass dich mal ordentlich abfeiern“ auf den Weg. Unter den Zuschauern rumort es. Geht nach Meyer und Böttcher nun etwa der nächste Leistungsträger nach Harsefeld? Die beiden Ritterhuder kriegen das nach dem Spiel mit und grinsen sich eins. „Plan aufgegangen“, sagen sie und klatschen sich ab. Jan-Luca Grove steht daneben und fragt: „Welcher Plan?“

FC Hansa Schwanewede – 1. FC Rot-Weiß Achim 1:0 (0:0): Was für ein Drehbuch ist das denn bitteschön? Da treffen am letzten Bezirksliga-Spieltag die abstiegsbedrohten punkt- und torgleichen Teams aus Schwanewede und Achim aufeinander und spielen in einem waschechten Finale den letzten Nichtabstiegsplatz aus. Und als wäre das nicht genug, hat Profi Lucas Höler, der mit dem SC Freiburg die Bundesliga-Saison sensationell auf einem Europa-League-Platz beendet hat, sein Kommen und Unterstützung für seinen Heimatverein angekündigt. Diese Konstellation zieht gleich mal 800 Zuschauer an, was zur Folge hat, dass die die große Höler-Autogrammstunde in der Halbzeitpause fast 30 Minuten länger dauert als geplant. Nicht nur Hunderte Kinder stellen sich in der Autogrammschlange an, auch der eine oder andere Spieler aus Achim wird dort gesichtet – sodass die zweite Halbzeit erst mit rund 45-minütiger Verspätung angepfiffen werden kann. Die Schwaneweder können allerdings keinen Nutzen daraus ziehen. Das entscheidende Tor will einfach nicht fallen. Wütend werfen die „Hanseaten“ alles nach vorne, doch die Wende gelingt erst, als Lucas Höler (der mittlerweile ein altes Hansa-Trikot seines Vaters übergestreift hat) in der 85. Minute von der Haupttribüne langsam Richtung Achimer Tor schlendert. Als er schließlich direkt auf Höhe des Fünfmeterraums – außerhalb des Feldes – stehen bleibt, sind die Achimer Spieler derart verwirrt, dass sie bei der letzten Ecke des Spiels Lucas Höler in vierfache Manndeckung nehmen. Diesen Raum in der Abwehr nutzt wiederum Cousin Moritz Höler und trifft zum 1:0-Siegtreffer. Auf der ausgelassenen Nichtabstiegsparty ruft Lucas Höler um kurz vor zwei Uhr nachts aus einer spontanen Laune heraus seinen Freiburger Trainer Christian Streich an und verkündet seinen sofortigen Wechsel zum FC Hansa Schwanewede.

TV Sottrum – FC Hambergen 0:1 (0:1): Eric Schürhaus läuft aufgeregt an der Seitenlinie auf und ab. Der Trainer der Gäste fordert in immer kürzer werdenden Abständen vehement den Abpfiff. Dabei ist noch eine Viertelstunde zu spielen. Als die 90. Minute erreicht ist, zeigt der Unparteiische weitere 15 Minuten Nachspielzeit an. Für jede „Schiri, pfeif ab!“-Forderung eine Minute extra. Den Gästen fällt es mit zunehmender Spieldauer merklich schwerer, sich aus der Umklammerung des Aufsteigers zu befreien, letztlich bringen sie ihren knappen Vorsprung, für den einmal mehr Zweitherren-Ausleihe Dennis Heineke gesorgt hat (12.), aber über die Zeit. Das ganze Team liegt sich in den Armen. Es ist geschafft: der vierte Vize-Titel in Folge ist eingefahren. „Das macht uns keiner nach“, sagt Eric Schürhaus freudestrahlend und überlegt ernsthaft, ob er mit seinem zukünftigen Team, Bremen-Ligist SFL Bremerhaven, überhaupt die Meisterschaft in Angriff nehmen soll. „Schuster, bleib bei Deinen Leisten“, sagt Schürhaus und stapft von dannen.

SV Blau-Weiß Bornreihe – VfL Güldenstern Stade 2:1 (0:1): Wie hatte es nur soweit kommen können? Nach dem tollen Start ins Jahr 2020 kassieren die „Moorteufel“ fünf Niederlagen am Stück – und rutschen zurück in den Tabellenkeller. Der Verein zieht daraufhin ein weiteres Mal seine Geheimwaffe aus dem Ärmel: Michael Rickers. Am 24. Spieltag übernimmt „Zicke“ ein drittes Mal die Blau-Weißen, tritt jedoch nach einem anfänglichem 1:0-Sieg über Treubund Lüneburg und einer krachenden 1:8-Niederlage bei Eintracht Lüneburg nach dem 25. Spieltag erneut zurück. Nachdem es am 26. Spieltag aber wieder nicht zu Punkten reicht (0:4 beim VfL Lüneburg) überredet der Klub aus dem Teufelsmoor Rickers zu einem spontanen Comeback. Klappe, die Vierte! Am 27. Spieltag steht er also wieder an der Seitenlinie und sieht einen desaströsen Auftritt der Mannschaft. „Das lasse ich mir nicht mehr bieten“, sagt er nach dem 0:4 gegen Emmendorf – und tritt zurück. Das Team siegt daraufhin in Uelzen mit 1:0, kassiert dann aber ein schlimmes 0:8 in Ottersberg. Rickers und die Mannschaft setzen sich noch einmal zusammen: „Ich kann diesen tollen Verein und diese klasse Mannschaft einfach nicht im Stich lassen“, sagt der Coach und übernimmt die Mannschaft am finalen 30. Spieltag zum fünften Mal. Im Heimspiel gegen Stade geht es nun um alles. Ein Sieg – und die „Moorteufel“ bleiben in der Landesliga. Doch Stade geht früh in Führung, und Rickers tritt folgerichtig in der Halbzeitpause von seinem Posten zurück. Doch diesmal bleibt der belebende Effekt aus. Kurzerhand übernimmt der Coach in der 70. Minute wieder das Zepter, und greift schließlich zum letzten Mittel: Er zieht sich den Trainingsanzug aus und wechselt sich in der 89. Minute selbst ein. Zwei Minuten später wird der zweifache Torschütze Rickers von einer Jubelmenge in blau-weiß auf den Händen ins Bornreiher Vereinsheim getragen – und verlässt dieses erst am nächsten Morgen. Ob er zu diesem Zeitpunkt noch Bornreiher Trainer ist oder nicht, das weiß niemand mehr so genau.

FC Hagen/Uthlede – VfV Borussia Hildesheim 7:5 (2:3): Bereits vor der Partie hatte die Mannschaft um FC-Trainer Carsten Werde den Antrag gestellt, jenes letzte Punktspiel an der Konsole austragen zu dürfen. Die Kicker von der Blumenstraße hatten den Klassenerhalt nämlich bereits am vorletzten Spieltag geschafft, Hildesheim war die Meisterschaft schon seit Wochen nicht mehr zu nehmen. Doch nach etlichen Telefonaten lehnte der Verband diesen Vorstoß letztlich doch ab. Dennoch lassen es sich die Hagener Konsolen-Experten Erik Köhler und Fabio Hausmann nicht nehmen, ein Showmatch gegen das Hildesheimer Duo Lucas Pillich/Matteo Leonhardt in der Halbzeitpause des echten Punktspiels zu bestreiten. Möglich ist das, weil beide Teams in diesem bedeutungslosen letzten Punktspiel nur eine B-Elf aufs Feld schicken – während die Stammspieler beider Mannschaften unterdessen an der Bierbude ausschenken und am Grill die Würstchen wenden. Hagens Torwart Yannick Becker hat sogar den Job als Stadionsprecher übernommen, muss diesen aber nach 14 Minuten wieder abgeben, weil er permanent „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ ins Mikrofon gröhlt. Ach so, Tore fallen natürlich haufenweise am letzten Spieltag in Hagen. Acht an der Konsole, zwölf auf dem echten Rasen. Aber wie es am Ende genau ausgeht, interessiert sowieso niemanden mehr an diesem sonnigen Nachmittag an der Blumenstraße. Vielmehr singen sich die Hagener Fans ab der 16. Minute plötzlich warm für das anstehende Pokal-Endspiel am darauffolgenden Wochenende. „Barsinghausen, Barsinghausen, wir fahren nach Barsinghausen!“ schallt es 75 Minuten lang über den Platz. Und viele fragen sich: Wo ist eigentlich Yannick Becker geblieben?

Blumenthaler SV – SC Borgfeld 3:0 (2:0): Berauscht von der geglückten Qualifikation für das große Bremer Amateurhallen-Turnier in der ÖVB-Arena – dem SC Borgfeld genügte hierfür der nicht mehr anfechtbare achte Tabellenplatz –, lässt Trainer Lutz Repschläger seine Mannschaft in dieser bedeutungslosen Partie über Bande spielen. Die verhältnismäßig vielen Einwürfe bringen die Borgfelder aber in arge Bedrängnis. Auch scheinen sie auf dem Platz keinen sicheren Halt zu finden, was daran liegt, dass die Spieler größtenteils mit Hallenschuhen auflaufen. Nicht zuletzt tut es dem Spiel der Gäste offensichtlich gar nicht gut, dass Coach Repschläger alle vier Minuten einen elfköpfigen Kollektivwechsel vornimmt. Die Abläufe stimmen nicht und die Borgfelder liegen bereits nach einer halben Stunde mit 0:2 zurück. Immerhin: In der zweiten Halbzeit halten sie sich gegen die (nun allerdings merklich zurückhaltenderen) Blumenthaler lange schadlos. Um zumindest den Ehrentreffer zu erzielen, spielen die Borgfelder die letzten fünf Minuten mit „fliegendem Torwart“. Das Risiko wird bestraft. Borgfelds Keeper Maximilian Hentrich, der sich kurzerhand ein Spielertrikot übergestreift hat, verliert schon bei seinem ersten Angriff den Ball. Allein auf das Borgfelder Tor zulaufend und die Arme bereits zum Jubeln hochgerissen, erzielt Blumenthals Denis Spitzer das 0:3.


Quelle: Weser-Kurier vom 06.06.2020 verfasst von Tobias Dohr und Dennis Schott