Dorfverein in Ekstase
Werde-Elf liegt früh mit 0:2 zurück – und ringt Atlas in einer mitreißenden Partie trotzdem ein Remis ab
Nein, so etwas haben sie in Hagen auch noch nicht erlebt: „Kühe, Schweine, Dorfvereine!“ So schallte es am Freitagabend aus Hunderten Männerkehlen. Immer wieder: „Kühe, Schweine, Dorfvereine!“ Es war gewissermaßen die offizielle Begrüßung der heißblütigen und stimmgewaltigen Fans des SV Atlas Delmenhorst für den FC Hagen/Uthlede. Reiselustig sind sie, die Schlachtenbummler des Traditionsklubs aus der Delmestadt. Und sie haben es sich zur Gewohnheit gemacht, bei ihren Reisen über die Plätze der Fußball-Oberliga Niedersachsen die gegnerischen Vereine ein wenig anzustacheln. „Kühe, Schweine, Dorfvereine!“ Oder übersetzt: Hallo, Provinz, hier kommen wir!
Am Freitagabend um kurz vor 22 Uhr waren diese Stimmen verstummt. Es sangen stattdessen fast ausschließlich die Hagener Fans – und vor allem die Spieler von Trainer Carsten Werde. Die feierten einen grandiosen Einstieg in ihre erste Oberliga-Saison, eine famose Aufholjagd und ein mehr als verdientes 2:2-Unentschieden gegen das ambitionierte Team von Atlas-Coach Jürgen Hahn. „Das war ein tolles Match, eine tolle Kulisse, beide Teams haben alle Register gezogen“, war auch Hahn nach 90 kurzweiligen Minuten restlos begeistert von dieser Partie. Und dann fügte er hinzu: „Hagen/Uthlede hat das wirklich richtig gut gemacht.“
Das war der finale Ritterschlag, sozusagen die endgültige Bestätigung dafür, dass der Aufsteiger bereits nach 90 Minuten Oberliga-Fußball angekommen scheint in der neuen Liga. Und das war zunächst keinesfalls in dieser Form abzusehen gewesen. Stattdessen wurde den FC-Anhängern angst und bange. 0:2 hieß es schon nach 15 Minuten. Zunächst verlor Marlo Burdorf leichtfertig den Ball an Tom Schmidt, dessen flache Hereingabe bekam Nils Göcke an die Hand, und Schiedsrichter Kevin Dickscheid zeigte sofort auf den Punkt. Hagens Keeper Yannick Becker ahnte zwar die Ecke, doch Karlis Plendiskis war mit Hilfe des Innenpfostens erfolgreich (6.).
Dem frühen ersten Schock folgte ein schneller zweiter. Diesmal ließ sich der zweite FC-Sechser, Thomas Wischhusen, überrumpeln, wieder schaltete Atlas blitzartig um. Der Ball landete bei Mittelstürmer Marco Prießner, und der vollstreckte zum 2:0 für die Gäste (15.). Die Hagener Spieler schienen wie paralysiert. An der Seitenlinie versuchte Carsten Werde sein Team wachzubrüllen. Und er musste brüllen wie selten zuvor. Denn die Lautstärke, die von den rund 400 Delmenhorster Fans über die Anlage schallte, glich teilweise einer Stadionatmosphäre. Insgesamt waren um die 1500 Zuschauer vor Ort und verwandelten die Hagener Blumenstraße in einen echten Hexenkessel. „Die Jungs haben kaum etwas gehört, ich bin zunächst gar nicht durchgedrungen zu ihnen“, sagte Werde hinterher. Doch dann klappte es. Vor allem Marlo Burdorf war nun der Turm in der Schlacht und schmiss sich in jeden Zweikampf. Nach und nach sprang der Funke über – und der Mut kehrte zurück. Jascha Stern und Wischhusen vergaben zwei erste gute Chancen.
In der Halbzeit stellte Werde um, brachte Kai Diesing für Jöran Korf und zog Stern und Axel France auf die Flügel zurück. Und nun gaben die Grün-Schwarzen mächtig Gas. Wie zu besten Landesliga-Zeiten attackierten sie den Gegner weit in dessen Hälfte. Atlas war spürbar überrascht von dieser so mutigen Spielweise und verlor komplett den Faden. Der Delmenhorster Mittelfeldspieler Leon Lingerski beschrieb es hinterher so: „Die Hagener hören nie auf. Die rennen, bis sie kotzen.“ Und obendrein liefen die FC-Angriffe nun auch immer flüssiger, vor allem über die linke Seite von Mirko Franke. Der Außenverteidiger war es dann auch, der die Flanke auf Kai Diesing spielte, die dieser flach einschob. Der Jubelsturm über das erste Oberligator des FC war gewaltig – aber nichts im Vergleich zu dem, was zwei Minuten später passierte.
Marlo Burdorf flankte butterweich, und Axel France köpfte ins lange Eck ein – die Blumenstraße verwandelte sich endgültig in einen Hexenkessel. In den letzten 20 Minuten war es dann eine komplett ausgeglichene Partie. Becker parierte stark gegen Prießner, der unglaublich mutig aufspielende Meiko Gagelmann rettete kurze Zeit später für seinen geschlagenen Torwart sogar auf der Linie. In der letzten Minute hätte der Hagener Neuzugang dann sogar endgültig zum Helden werden können, als eine von Christoph Müller verlängerte Flanke urplötzlich auf seinem Kopf landete. Doch der völlig freistehende Gagelmann schaute laut eigener Aussage genau ins Flutlicht und konnte den Ball nicht richtig platzieren. Doch auch so feierte der Aufsteiger diesen Punkt und vor allem die gezeigte Leistung wie einen Sieg. „Das war wirklich Werbung für den Oberliga-Fußball in Hagen. Alle gehen heute mit einem fetten Lächeln nach Hause“, sagte Carsten Werde. Außer vielleicht die Delmenhorster Fans, die ihre frühen Schmähgesänge längst eingestellt hatten. Der Dorfverein hatte an diesem Abend ein ziemliches Ausrufezeichen gesetzt.
FC Hagen/Uthlede: Becker – Korf (46. Diesing), Göcke, Müller, Gagelmann, Franke, Burdorf, Wischhusen, Stern (60. Köhler), France, Dähnenkamp (86. Seidenberg)
SV Atlas Delmenhorst: Urbainski – Köster, Plendiskis, Siech, Mooy, Bruns (69. Mutlu), Lingerski (71. Vollmer), Karli, Müller-Rautenberg, Schmidt (62. Degen), Prießner
Tore: 0:1 Karlis Plendiskis (6./Handelfmeter), 0:2 Marco Prießner (15.), 1:2 Kai Diesing (62.), 2:2 Axel France (64.)
Schiedsrichter: Kevin Dickscheid (Hannover)
Zuschauer: 1231 zahlende, insgesamt ca. 1500
Gelbe Karten: Göcke / Plendiskis, Prießner
Quelle: Weser-Kurier vom 13.08.2018 verfasst von Tobias Dohr